Alleine All-Ein-sein.
Kennst du das Gefühl, wenn du alleine bist und plötzlich diese Unruhe aufsteigt? Dieses Bedürfnis, das Handy zu checken, die Serie weiterzuschauen, irgendetwas zu tun – nur nicht einfach... da sein?
Wir leben in einer Welt, die uns ständig beschäftigt hält. Ständig erreichbar, ständig im Austausch, ständig mit Input gefüttert. Stille und Alleinsein sind selten geworden. Und wenn sie doch auftauchen, fühlen sie sich oft unbequem an.
Doch was, wenn Alleinsein mehr ist als nur die Abwesenheit von anderen? Was, wenn es eine Qualität hat, die wir verlernt haben zu schätzen?
All-ein-sein: Ganz bei dir
Das Wort "allein" trägt in sich eine doppelte Bedeutung. Zum einen: allein, ohne andere. Zum anderen: all-ein – ganz eins, ganz bei sich. Diese zweite Bedeutung ist es, die oft verloren geht.
Allein-Sein kann bedeuten: bei mir sein. Mit mir sein. Mich spüren, ohne die Ablenkung durch andere. Ohne die Anpassung an Erwartungen, ohne die ständige Bezugnahme auf das Außen.
In unserer psychologischen Beratung in Zürich begegne ich oft Menschen, die das Gefühl haben, sich selbst verloren zu haben. Sie funktionieren im Alltag, sind für andere da, erfüllen ihre Rollen – doch wenn sie einen Moment innehalte
n, spüren sie eine Leere. Oder eine Unruhe. Oder die Frage: Wer bin ich eigentlich, wenn niemand zuschaut?
Einsamkeit vs. Alleinsein
Es ist wichtig, zwischen Einsamkeit und Alleinsein zu unterscheiden.
Einsamkeit ist ein schmerzhaftes Gefühl der Isolation. Das Gefühl, nicht gesehen zu werden, nicht verbunden zu sein, alleine gelassen zu werden. Einsamkeit kann auch mitten unter Menschen entstehen – wenn die Verbindung fehlt, wenn wir uns unverstanden fühlen.
Alleinsein hingegen kann eine bewusste Wahl sein. Ein Raum, den wir uns geben. Zeit mit uns selbst, nicht aus Mangel an Alternativen, sondern aus dem Wunsch heraus, bei uns zu sein.
Einsamkeit tut weh. Alleinsein kann nähren.
Doch die Grenze ist manchmal fließend. Manchmal beginnt Alleinsein und verwandelt sich in Einsamkeit, weil alte Gefühle hochkommen. Manchmal fühlen wir uns einsam und entdecken im bewussten Alleinsein einen Weg zurück zu uns.
Warum fällt Alleinsein so schwer?
Für viele Menschen ist Alleinsein unangenehm. Sobald niemand da ist, steigt Unruhe auf. Das Handy wird gecheckt, der Fernseher eingeschaltet, Musik aufgedreht. Irgendetwas muss die Stille füllen.
Warum?
Weil Alleinsein uns mit uns selbst konfrontiert. Mit dem, was da ist, wenn keine Ablenkung mehr vorhanden ist. Mit Gefühlen, die wir vielleicht nicht spüren wollen. Mit Gedanken, die unangenehm sind. Mit einer inneren Leere, die sich zeigt, wenn wir nicht mehr beschäftigt sind.
Alleinsein kann auch alte Wunden berühren. Vielleicht warst du als Kind oft allein und hast dich verlassen gefühlt. Vielleicht hast du gelernt, dass Liebe bedeutet, gebraucht zu werden – und Alleinsein fühlt sich an wie ungeliebt sein.
Unser Nervensystem ist darauf ausgelegt, in Verbindung zu sein. Wir sind soziale Wesen. Wenn wir alleine sind, kann unser System in einen leichten Alarmzustand gehen: Wo sind die anderen? Bin ich sicher? Bin ich okay?
Die Kunst, mit sich selbst zu sein
Und doch: Alleinsein zu lernen, ist eine der wertvollsten Fähigkeiten, die wir entwickeln können.
Mit dir selbst sein zu können bedeutet:
Du bist nicht abhängig von der ständigen Bestätigung anderer
Du kannst Stille aushalten, ohne sie sofort füllen zu müssen
Du lernst, dich selbst zu hören – deine Bedürfnisse, deine Grenzen, deine Wahrheit
Du entdeckst, dass du selbst gute Gesellschaft sein kannst
Alleinsein kann ein Raum der Regeneration sein. Ein Ort, an dem du auftankst, statt dich zu verausgaben. Ein Moment, in dem du nicht funktionieren musst, nicht performen, nicht angepasst sein.
Merkst du, dass du wieder mehr bei dir ankommen möchtest?In meiner psychologischen Beratung in Zürich arbeiten wir daran, deine Verbindung zu dir selbst zu stärken – auch und gerade in der Stille.
Alleinsein in Beziehungen
Paradoxerweise ist die Fähigkeit, allein zu sein, auch wichtig für gesunde Beziehungen.
Wenn du nur in Beziehung mit dir sein kannst, wenn andere da sind – wenn du dich in anderen verlierst, um nicht allein sein zu müssen –, dann wird Nähe zur Abhängigkeit. Du brauchst den anderen, um dich vollständig zu fühlen. Und das ist eine schwere Last – für dich und für die Beziehung.
In der Paarberatung und Sexualberatung erlebe ich oft, dass Paare ihre individuelle Zeit verloren haben. Sie sind ständig zusammen, füllen jede Lücke mit gemeinsamen Aktivitäten – und verlieren dabei sich selbst. Die Sehnsucht nacheinander schwindet, weil keine Distanz mehr da ist. Kein Raum, in dem jede*r für sich sein kann.
Gute Beziehungen brauchen beides: Verbindung und Alleinsein. Nähe und Rückzug. Das Zusammen und das Für-sich-Sein.
Wenn beide Partner*innen die Fähigkeit haben, mit sich selbst zu sein – ohne Angst, ohne Leere –, dann entsteht eine andere Qualität von Nähe. Eine Nähe, die nicht aus Bedürftigkeit entsteht, sondern aus Wahl. Aus dem Wunsch, mit dem anderen zu sein, nicht aus der Angst, ohne den anderen nicht sein zu können.
Alleinsein und Sexualität
Auch in der Sexualität spielt Alleinsein eine Rolle.
Solosex – die sexuelle Begegnung mit dir selbst – kann ein Raum sein, in dem du lernst, bei dir zu sein. In deinem Körper zu sein. Deine Lust zu spüren, ohne sie an jemand anderen zu richten oder von anderen abhängig zu machen.
Manche Menschen erleben Solosex als Flucht – schnell, mechanisch, als Spannungsabbau. Doch es kann auch ein bewusstes Alleinsein sein. Ein Erforschen: Wie fühle ich mich? Was spüre ich? Was brauche ich?
Und diese Fähigkeit, mit dir selbst sexuell präsent zu sein, beeinflusst auch die Sexualität mit anderen. Wenn du dich in der Begegnung mit dir selbst spüren kannst, kannst du dich auch in der Begegnung mit anderen spüren. Du verlierst dich nicht, du bleibst bei dir – und kannst gleichzeitig verbunden sein.
Praktische Wege ins Alleinsein
Wie also kann man Alleinsein üben? Besonders, wenn es sich gerade unangenehm anfühlt?
Kleine Schritte gehen
Fang klein an. Vielleicht 10 Minuten ohne Handy, ohne Ablenkung. Einfach sitzen. Atmen. Spüren, was da ist. Es muss nicht gleich eine stundenlange Meditation sein.
Dem Unbehagen Raum geben
Wenn Unruhe aufkommt, musst du sie nicht sofort bekämpfen. Du kannst sie einfach bemerken. „Ah, da ist Unruhe." Sie darf da sein. Du musst sie nicht weghaben.
Raus in die Natur
Alleinsein fällt vielen Menschen in der Natur leichter. Ein Spaziergang im Wald, am Wasser, in den Bergen. Die Natur hält dich, ohne dass du etwas tun musst.
Rituale schaffen
Vielleicht ein Morgenritual, bevor der Tag beginnt. Eine Tasse Tee in Stille. Tagebuch schreiben. Einfach am Fenster stehen und rausschauen.
Körper spüren
Alleinsein wird leichter, wenn du in deinem Körper bist. Yoga, Atemübungen, achtsames Dehnen. Dein Körper gibt dir etwas, bei dem du sein kannst.
Akzeptieren, dass es Phasen gibt
Manchmal brauchst du mehr Alleinsein, manchmal mehr Verbindung. Beides darf sein. Es gibt keine Regel, wie viel „richtig" ist.
Die Einladung: Werde dir selbst zur Heimat
Alleinsein ist keine Strafe. Es ist kein Zustand, den es zu vermeiden gilt. Es ist eine Einladung – zu dir selbst.
Eine Einladung, dich kennenzulernen. Zu spüren, wer du bist, wenn niemand zusieht. Was du brauchst, wenn du nicht gerade damit beschäftigt bist, für andere da zu sein.
Du musst nicht perfekt sein in deinem Alleinsein. Du musst es nicht genießen können, nicht erleuchtete Momente der Stille finden. Es darf unbequem sein. Es darf schwer sein.
Aber vielleicht – Schritt für Schritt – kannst du lernen, dir selbst zur Heimat zu werden. Ein Ort, an den du zurückkehren kannst. Ein Raum, der dir gehört. Ein Sein, das nicht davon abhängt, ob jemand anderes da ist.
Und von dort aus – aus diesem All-ein-Sein, diesem Ganz-bei-dir-Sein – kannst du dann auch wirklich mit anderen verbunden sein. Nicht aus Bedürftigkeit, sondern aus Fülle. Nicht aus Angst vor dem Alleinsein, sondern aus der Freude an der Begegnung.
Möchtest du deine Beziehung zu dir selbst zu vertiefen? In meiner Praxis in Zürich Kreis 6 begleite ich dich dabei, wieder bei dir anzukommen – mit Achtsamkeit, Körperarbeit und psychologischer Begleitung.