Autonomes Nervensystem - unser innerer Kompass

Unser autonomes Nervensystem gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit, und das zu Recht. Als unsere innere Sicherheitszentrale überprüft es kontinuierlich unsere Umgebung und bestimmt maßgeblich unsere Reaktionen – unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen. Dabei steuert nicht unser Kopf das Nervensystem, sondern umgekehrt.

Die gute Nachricht: Wir können lernen, die Sprache unseres Nervensystems zu verstehen. Wir können erkennen, was uns aus der Balance bringt und was uns hilft, wieder in einen sicheren Zustand zu kommen.

Warum Nervensystem-Regulation wichtig ist

Ein bewusster Umgang mit unserem Nervensystem ist fundamental für unser Wohlbefinden. Er ermöglicht uns:

  • Ein achtsameres Erleben

  • Tiefere Beziehungen

  • Einfacheres Lernen

  • Klareres Denken und Fühlen

  • Mehr innere Stabilität im Alltag

Ein bewusster Umgang mit unserem Nervensystem ist oft sehr hilfreich für unser Wohlbefinden. Er ermöglicht uns ein achtsameres Erleben, tiefere Beziehungen, einfacheres Lernen und klareres Denken und Fühlen. Er schenkt uns mehr innere Stabilität im Alltag – etwas, das gerade in unserer schnelllebigen Zeit so kostbar geworden ist.

In meiner Beratung in Zürich erlebe ich oft, dass Klient*innen nach dem "Warum" ihrer Gefühle suchen. Sie wollen verstehen: Warum reagiere ich so? Warum fühle ich mich blockiert? Warum kann ich nicht einfach entspannen? Doch mentales Verstehen allein verändert selten unsere emotionalen Reaktionen. Der Kopf kann wissen: "Diese Angst ist irrational." Doch der Körper fühlt sie trotzdem.

Der Schlüssel liegt eben auch zu einem grossen Teil in der körperlichen Ebene – hier können wir echte Veränderung bewirken, auch ohne die Ursachen vollständig zu verstehen. Denn unser Nervensystem kommuniziert nicht in Worten und Gedanken, sondern in Empfindungen, Spannungen und körperlichen Zuständen.


Du möchtest dein Nervensystem besser verstehen? In meiner körperzentrierten Beratung in Zürich arbeiten wir mit dem Wissen um die Polyvagaltheorie – für mehr innere Sicherheit und Regulation im Alltag.

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Die Polyvagaltheorie

Die Polyvagaltheorie des Neurowissenschaftlers Stephen Porges hat das Verständnis des Nervensystems klarer gemacht. Sie zeigt uns, dass unser autonomes Nervensystem nicht einfach nur zwischen "Stress" und "Entspannung" unterscheidet, sondern viel differenzierter arbeitet.

Das autonome Nervensystem besteht aus drei hierarchisch organisierten Systemen, die wie eine Leiter funktionieren. Je nachdem, wie sicher wir uns fühlen, bewegen wir uns auf dieser Leiter nach oben oder unten. Diese Bewertung geschieht unbewusst und blitzschnell – lange bevor dein bewusster Verstand sie wahrnimmt.

Dein Nervensystem nimmt ständig Signale auf: Ist diese Person vertrauenswürdig? Ist diese Situation sicher? Kann ich mich entspannen oder muss ich auf der Hut sein? Dieser Prozess heißt Neurozeption – neuronale Wahrnehmung. Er läuft permanent im Hintergrund, ohne dass wir es merken.

Die drei Zustände: Die Nervensystem-Leiter

Unsere Nervensystemzustände lassen sich gut mit einer Leiter vergleichen:

Oben – Ventraler Zustand (Sicherheit & Verbindung)

Der ventrale Vagusnerv ist der evolutionär jüngste Teil unseres Nervensystems und ermöglicht uns soziale Verbindung und Entspannung in Sicherheit. Wenn dieser Teil aktiv ist, fühlen wir uns sicher und verbunden – mit uns selbst und mit anderen.

In diesem Zustand erscheint die Welt voller Möglichkeiten. Probleme sind lösbar, Herausforderungen sind zu bewältigen. Du kannst entspannen, ohne wachsam sein zu müssen. Dein Atem ist ruhig und tief, dein Herzschlag ausgeglichen. Du kannst Intimität zulassen, dich zeigen, verletzlich sein. Kreativität und Neugier sind zugänglich.

Wie erkennst du diesen Zustand?

Deine Muskulatur ist entspannt, besonders im Gesicht und um die Augen. Dein Blick ist weich und offen, deine Atmung tief. Die Verdauung funktioniert gut. Deine Stimme ist moduliert, melodisch. Du fühlst dich verbunden und präsent.

Vielleicht kennst du diesen Zustand von einem guten Gespräch mit Freund*innen, beim Kuscheln mit geliebten Menschen, bei kreativer Arbeit, die dir Freude macht. In der Natur, wenn du dich sicher fühlst. In Momenten tiefer Verbundenheit.

Wichtig: Im ventralen Zustand haben wir Zugang zu unserem präfrontalen Kortex – jenem Teil des Gehirns, der für komplexes Denken, Empathie und bewusste Entscheidungen zuständig ist.

Mitte – Sympathischer Zustand (Mobilisierung)

Der sympathische Zweig bereitet unseren Körper auf Kampf oder Flucht vor. Wenn dieser Teil aktiv ist, spürst du Unsicherheit oder Anspannung, bleibst aber handlungsfähig.

Dein Körper ist bereit zu reagieren. Du fühlst dich energetisiert, manchmal bis zur Überaktivierung. Gedanken können schnell und rastlos werden, oft kreisen sie um Probleme. Entspannung fällt schwer, selbst wenn keine akute Bedrohung da ist. Du fühlst dich möglicherweise getrieben, gestresst, überwältigt.

Wie erkennst du diesen Zustand?

Dein Herzschlag ist erhöht, deine Atmung flach und schnell – sie wandert aus dem Bauch in den Brustkorb. Deine Muskulatur spannt sich an, besonders in Schultern, Nacken und Kiefer. Vielleicht schwitzt du oder frierst. Die Verdauung wird heruntergefahren. Du kannst nicht stillsitzen, bist unruhig. Deine Stimme wird höher, schneller, angespannter.

Dieser Zustand ist nicht per se schlecht. Er gibt uns Energie bei Sport, bei Deadlines, in aufregenden Situationen. Er ist lebensrettend, wenn wir schnell reagieren müssen.

Problematisch wird er, wenn wir chronisch darin feststecken. Dann entstehen Erschöpfung, Burnout, Schlafprobleme, Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen, Verspannungen. Gereiztheit, Ungeduld. Schwierigkeiten, Nähe zuzulassen. Ein ständiges Gefühl von Zeitdruck.

Unten – Dorsaler Zustand (Erstarrung)

Der dorsale Vagusnerv ist evolutionär der älteste Teil unseres Nervensystems und unser letzter Überlebensmechanismus: Wenn weder Kampf noch Flucht möglich sind, schaltet der Körper ab. Erstarrung, Shutdown, Dissoziation.

In diesem Zustand fühlst du dich erstarrt, wie gelähmt, hilflos. Es gibt ein Gefühl von Abgeschnittensein – von dir selbst und von der Welt. Emotionale Taubheit setzt ein – du fühlst wenig oder gar nichts mehr. Hoffnungslosigkeit und Resignation: "Es hat eh keinen Sinn." Eine tiefe Schwere legt sich über dich. Dissoziation – du bist "nicht ganz da", beobachtest dich von außen. Gedanken sind vernebelt, unklar, langsam.

Wie erkennst du diesen Zustand?

Dein Blutdruck ist sehr niedrig, der Herzschlag langsam. Die Atmung wird flach, kaum noch spürbar. Schwere in den Gliedern. Kälte in Händen und Füßen. Die Verdauung stoppt. Die Stimme wird monoton, leise oder verstummt. Der Blick wird leer. Die Körperhaltung sinkt zusammen.

Dieser Zustand ist ein Überlebensmechanismus. Dein Körper schaltet ab, um dich vor Überwältigung zu schützen. Es ist, als würde der Körper sagen: "Wenn ich nichts fühle, kann mich nichts mehr verletzen."

Chronisch kann dieser Zustand bei Depression auftreten, nach langanhaltendem Stress oder Trauma, bei Gefühlen von Ausweglosigkeit. Wenn die Welt zu viel geworden ist.

Manchmal erleben wir auch eine Kombination aus dorsaler und sympathischer Aktivierung – innerlich erstarrt, aber äußerlich angespannt. Das kann sich anfühlen wie "leer laufen" – funktionieren, aber nichts fühlen. Wie bei Panikattacken oder Burnout.

Wie erkenne ich, in welchem Zustand ich bin?

Eine wichtige Fähigkeit ist es, wahrzunehmen, in welchem Nervensystem-Zustand du dich gerade befindest. Oft sind wir so sehr in unserem Zustand gefangen, dass wir ihn gar nicht mehr bemerken.

Beginne damit, deinen Körper zu befragen. Wie atmest du gerade? Ist dein Atem tief und ruhig, schnell und flach, oder kaum noch spürbar? Wie ist dein Herzschlag? Wie fühlt sich dein Körper an – entspannt, angespannt oder schwer? Wo sitzt Spannung?

Dann schaue auf die emotionale Ebene. Was fühlst du? Fühlst du dich verbunden, ängstlich, oder taub? Fühlst du dich sicher oder bedroht?

Auch deine Gedanken geben Hinweise. Sind sie klar, rastlos oder vernebelt? Kannst du kreativ denken oder bist du problemfixiert? Hast du Zugang zu Lösungen?

Und schließlich: Wie fühlst du dich sozial? Verbunden oder isoliert? Kannst du Blickkontakt halten? Sehnst du dich nach Nähe oder möchtest du dich zurückziehen?

Wie reguliere ich mein Nervensystem?

Die gute Nachricht ist: Wir können lernen, unser Nervensystem zu regulieren. Wir können ihm helfen, flexibel zwischen den Zuständen zu wechseln, statt in einem festzustecken.

Vom dorsalen Zustand zurück zu Sicherheit

Wenn du in Erstarrung bist, hilft es nicht, einfach nur zu entspannen. Der Körper braucht erst Mobilisierung, um wieder "online" zu kommen. Sanfte Bewegung – aufstehen, umhergehen, tanzen – sagt deinem System: "Du bist nicht gelähmt. Du kannst handeln." Auch kaltes Wasser aktiviert das System, genauso wie starke Sinneseindrücke. Und so schwer es fällt: soziale Verbindung ist heilsam – jemanden anrufen, spazieren gehen, Umarmung.

Vom sympathischen Zustand zu Sicherheit

Wenn du in sympathischer Aktivierung bist, brauchst du erst Entladung der Energie. Die verlängerte Ausatmung aktiviert den ventralen Vagus: vier Sekunden einatmen, sechs bis acht Sekunden ausatmen. Bewegung, die Energie entlädt – joggen, kraftvolles Yoga, tanzen. Vokalisierung: summen, singen, tönen, seufzen. Grounding-Übungen bringen dich zurück: Füße auf dem Boden spüren, etwas Schweres halten. Und: soziale Beruhigung durch gemeinsames Sein mit jemandem Vertrautem.

Im ventralen Zustand bleiben

Wenn du in einem sicheren Zustand bist, kannst du ihn kultivieren: Achtsamkeitspraktiken, Verbindung zu sicheren Menschen, gemeinsame Rituale. Selbstfürsorge – genug Schlaf, Pausen, schöne Räume. Alles, was deinem System signalisiert: Du bist sicher.

Regulation in Beziehung

So wertvoll Atemübungen, Bewegung und Achtsamkeit auch sind – unser Nervensystem ist nicht dafür gemacht, sich allein zu regulieren. Es ist ein soziales System, das in Beziehung heilt. Wir können tausend Übungen machen und bleiben doch angespannt, wenn wir uns in unseren Beziehungen nicht sicher fühlen.

Co-Regulation geschieht in Verbindung mit anderen: in sicheren Freundschaften, in liebevollen Partnerschaften, in psychologischer Begleitung. Wenn wir mitteilen können, was gerade in uns vorgeht – ohne Vorwurf, einfach als Ausdruck – schafft das Verbindung. Oft reguliert sich unser Nervensystem bereits dadurch, dass jemand bei uns ist, uns hört, uns sieht. Nicht durch Lösungen, sondern durch Präsenz.

Deshalb ist es so wichtig, Nervensystem-Regulation auch im Beziehungskontext anzuschauen – zu verstehen, wie wir gemeinsam regulieren, wie wir uns gegenseitig helfen können, wieder in Sicherheit zu kommen.

Flexibilität statt Festgefahrenheit

Alle diese Zustände erfüllen wichtige Funktionen. Keiner ist "schlecht" oder "falsch". Das Problem entsteht, wenn wir in einem Zustand feststecken und nicht mehr flexibel zwischen ihnen wechseln können.

Gesunde Nervensystem-Regulation bedeutet: Du kannst bei Bedarf in den sympathischen Zustand gehen, wenn du Energie brauchst. Du kehrst danach wieder in den ventralen Zustand zurück und kannst entspannen. Du hast Zugang zu allen drei Zuständen, aber keiner dominiert chronisch. Du kannst auf unterschiedliche Situationen angemessen reagieren.

Diese Flexibilität können wir trainieren. Unser Nervensystem ist lernfähig, plastisch, veränderbar. Sich damit zu befassen lohnt sich enorm. Je besser wir lernen, unser Nervensystem zu regulieren, desto mehr innere Stabilität und Lebensqualität gewinnen wir.

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Spürst du dass dein Nervensystem unausgeglichen ist? In meiner Praxis in Zürich Kreis 6 begleite ich dich dabei, die Sprache deines Körpers zu verstehen und wieder in Balance zu kommen – mit körperzentrierten Methoden und achtsamer Begleitung.

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